DIE FOLGEN
Im Westen gelobt, zu Hause verachtet
«Seinetwegen haben wir ein wirtschaftliches Durcheinander!»
«Seinetwegen haben wir neue Möglichkeiten!»
«Seinetwegen haben wir politische Instabilität!»
«Seinetwegen haben wir Freiheit!»
«Völliges Chaos!»
«Perspektiven!»
«Politische Instabilität!»
«Seinetwegen haben wir Dinge wie Pizza Hut!»
So lautete das Drehbuch des Werbespots von 1997, in dem Männer in einem neu eröffneten Moskauer Restaurant lautstark über das Ergebnis der Perestroika stritten, wenige Meter entfernt von einem unbeholfenen Gorbatschow, der ins Leere starrte und neben seiner zehnjährigen Enkelin sein Essen verspeiste. Der TV-Spot endet damit, dass die gesamte Kundschaft aufsteht und «Ein Hoch auf Gorbatschow!» skandiert, während sie mit Pizzastücken in der Hand auf das ehemalige Oberhaupt anstoßen.
Die ganze Szene ist eine Travestie der bedeutenden Veränderungen, die weniger als ein Jahrzehnt zuvor stattgefunden haben und die durch zeitgenössische Umfragen unter Russen, die Gorbatschow als das am wenigsten beliebte Oberhaupt in der Landesgeschichte, nach Stalin und Iwan dem Schrecklichen bewerteten, grausamer wurden.
Dieser Moment ist die perfekte Verkörperung von Gorbatschows Karriere nach seinem Rücktritt.
Für seine Kritiker, darunter viele Russen, war er einer der mächtigsten Männer der Welt, der darauf reduziert wurde, seine Familie auszubeuten, um Pizzen für eine Restaurantkette zu verhökern, eine US-amerikanische noch dazu. Eine persönliche und nationale Demütigung und eine Erinnerung an seinen Verrat. Für das ehemalige kommunistische Oberhaupt selbst war es nichts dergleichen. Der gut gelaunte Gorbatschow sagte, der halbtägige Dreh sei ein Vergnügen für seine Familie gewesen. Die finanzielle Belohnung, von ihm als «atemberaubend» beschrieben, wurde an seine Stiftung gespendet und für wohltätige Zwecke verwendet.
Was die Folgen von Gorbatschows Karriere in der Werbung auf Russlands Ruf betrifft... In einem Land, in dem ein Jahrzehnt zuvor die bloße Existenz eines Pizza Hut in der Nähe des Roten Platzes unvorstellbar schien, hatte sich so viel verändert, dass es eine logische, wenn auch nicht würdevolle Art zu sein schien, den Kreis zu schließen. In den Jahren nach Gorbatschows erzwungenem Rücktritt hatte es einen versuchten Regierungsumsturz gegeben, der mit der Bombardierung des Parlaments endete, Privatisierungen, den ersten Tschetschenienkrieg, einen betrunkenen Jelzin, der ein deutsches Orchester dirigierte und zwei Jahre später revanchistischen Kommunisten einen unwahrscheinlichen Sieg entriss, sowie eine Rubelkrise.
Obwohl er bei einem gescheiterten politischen Comeback, das in den Präsidentschaftswahlen im Jahr 1996 gipfelte, 0,5 Prozent der Stimmen erhielt, hatte Gorbatschow mit diesen lebensverändernden Ereignissen überhaupt nichts zu tun. Und im Gegensatz zu Nikita Chruschtschow, der zwar eine größere Blamage erlitt, dessen Fackel aber dennoch weiter getragen wurde, waren Gorbatschows Umstände zu spezifisch, um ein politisches Vermächtnis hervorzubringen. Mehr noch, sein Ruf als rüpelhafter Tölpel und Luftikus, der sich in den letzten Jahren seiner Amtszeit zu festigen begann, überschattete nun fast vollständig seine erwiesenen Fähigkeiten als politischer Akteur.
Abgesehen von seiner tiefen Abneigung gegen Boris Jelzin, die beiden sprachen nach Dezember 1991 nie wieder miteinander, trug Gorbatschow seine Verbitterung über den mangelnden Respekt, der ihm zu Hause entgegengebracht wurde, mit Fassung. Im Ausland schwelgte er in seiner staatsmännischen Aura, erhielt zahlreiche Auszeichnungen und stand im Mittelpunkt von Galas, umgeben von Stars. Dennoch muss es für einen Mann mit seinen Ambitionen immer wieder an ihm genagt haben, in den Ruhestand gedrängt worden zu sein.
Nachdem er in den späten 1990er-Jahren auf Vortragsreisen eine gewisse finanzielle und persönliche Stabilität gefunden hatte, traf Gorbatschow ein weiterer Schicksalsschlag: der schnelle Krebstod seiner Frau Raissa.
Als Diabetiker wurde Gorbatschow unbeweglich und schwerfällig. Er wurde blass, sodass sogar sein berühmtes Muttermal verblasste. Doch seine Stimme behielt ihre Kraft (und ihren Akzent), und der ehemalige Staatschef fuhr fort, seine wortgewandten Meinungen zur Politik frei auszusprechen — zur allgemeinen Gleichgültigkeit.
Gorbatschows Vermächtnis ist eindeutig und zugleich zutiefst zwiespältig, mehr als das der allermeisten politischen Persönlichkeiten. Seine Entscheidungen und Privatgespräche wurden akribisch aufgezeichnet und überprüft. Seine Beweggründe erschienen stets transparent. Seine Fehler und Erfolge bildeten Muster, die sich über Jahrzehnte wiederholten.
Doch bei aller Klarheit können die Auswirkungen seiner Entscheidungen, das Gewicht, das seinen Taten und Fehlern beigemessen wird, endlos debattiert werden und sind für die Russen zu einer grundlegenden Frage geworden.
Weniger als drei Jahrzehnte nachdem seine Limousine den Kreml verlassen hatte, wurde seine Geschichte mehrmals umgeschrieben und seine Rolle den Bedürfnissen der Politiker und den herrschenden gesellschaftlichen Sitten angepasst. Dies wird wahrscheinlich auch weiterhin so bleiben. Jene, die an die Macht des Staates glauben, sowohl Nationalisten als auch Kommunisten, werden seine Zeit weiterhin bestenfalls als ungeheuerlich, schlimmstenfalls als aufrührerisch ansehen. Für sie ist Gorbatschow untrennbar mit Verlusten verbunden: dem Verlust von Moskaus internationalem Ansehen, Gebieten und Einfluss. Die Zerstörung der furchterregenden und einzigartigen sowjetischen Maschinerie, die Russland auf einen stockenden Kurs als Land mit mittlerem Einkommen und einem Sitz im UN-Sicherheitsrat gebracht hat, das versucht, in einer von den USA geprägten Welt akzeptiert zu werden.
Andere, die ein Bekenntnis zu Pazifismus und Demokratie, Idealismus und Gleichheit schätzen, werden auch an Gorbatschow viel zu bewundern finden, auch wenn er nicht immer sein bestes Ich sein konnte. Jene, die dem Individuum mehr Wert beimessen als dem Staat, der Freiheit mehr als der militärischen Macht, jene, die glauben, dass der Zusammenbruch des Eisernen Vorhangs und der totalitären Sowjetunion eine bahnbrechende Errungenschaft und kein Scheitern war, werden dankbar sein, wenn nicht sogar mitfühlend. Denn das Scheitern des einen führt manchmal zu besseren Ergebnissen als der Erfolg des anderen.